Christiane Bergelt *1982 in Marienberg/ Sachsen, studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und schloss Studium als Meisterschülerin ab. In London absolvierte sie am Chelsea College of Arts das MA Fine Art/ Painting Programm, gefördert durch ein Stipen-dium der Studienstiftung des Deutschen Volkes.
Bergelts Arbeit entwickelt sich aus eigener ruppiger Leiblichkeit und die der Farbe, entlang rabiater, perlmutteriger Erfahrung.
Pfeilregen
südlicher Sagitta, Trauerhalle
östlicher Sagitta, Abteilung 20
Pfeilregen aus Haselstöcken und gewundener Rotbuche hat sich in die Erde gebohrt. Spitzen geschwärzt. Leuchtende zinnoberrote und brilljant- rosa Schäfte. Blechern befiedert.
Niemand bleibt unverletzt. Lebendig und mit den Empfindungen, die Verluste auslösen: bohrend vor- ausschauend erwartet, rapide verletzt, abrupt getroffen, ist sie da – die Wunde, die Leerstelle, eine Öffnung vielleicht.
Rückblick HINGABE 2023
dolore profondo
Wir werden uns umarmen
Im letzten Jahr fand ich bei einem meiner wiederkehrenden Spaziergänge ein Tüllband in einem Grünschnittcontainer auf dem Friedhof. Der Rand dicht und fest mit Kette und Schuß gewebt und mit feinem Draht durchzogen. Dazwischen zum durchsehen transparente, feine schwarze Fäden.
Strauß oder Kranz an dem die kleine Schleife, an einem Draht befestigt steckte, verrotten. Das kleine, schmale Bändchen von anderthalb Zentimetern war da und greifbar. Rest eines gefeierten Abschiedes, ein heimliches Souvenir des Spaziergangs.
Seitdem trug ich das Bändchen, das mich rührt, wenn ich es ansehe von hier nach da.
Immer wieder fing es meinen Blick. Dann freue ich mich an der flink gebundenen Schleife, daran, dass sie etwas steif ist, die ihr gegebene Form wahrt und an ihrer synthetisch glänzenden, sich in den Falten und Windungen zeigenden tiefen Schwärze.
Die Schleife ist von irritierender Leichtigkeit, nicht sie selbst, das schwerelose Gewebe. Ich stelle mir das Volumen einer Feldholzinsel vor. Sinnliche Biotopanker, die sich in die gepflügten, blühenden, wuchernden und abgeernteten Felder schmiegen entlang der Landstraßen. Ich will die Leichtigkeit der Schleife ins Üppige bewegen, in die Schwere kippen, den Wind durchrauschen lassen, daran festhalten. Dem Feldgehölz gleich soll sie ein Biotop der Trauer sein. Unvollbrachtes, Versagtes, Ungelebtes kann hier betrauert werden.
Rhythmisch, in immer gleicher Abfolge, den Geist beruhigend sind die Schleifen gebunden.
Zuvor: Maß nehmen, Stoff einmal auf Länge reißen und dann weiter reißen bis alle Fetzen mit den fransig-wehenden Rändern da liegen. Bänder in das Gitter fädeln, Arme ausbreiten, mit einem Ende in jeder Hand die Länge angleichen und mit dem ersten Knoten beibehalten.
Die Chiffonzügel zwischen lose und fest in die Hand nehmen und mit dem Gewirr aus Fingern, Daumen und Handflächen die Schleife binden. 1000 Mal. Und dann tiefer, atemraubender Schmerz, werden wir uns umarmen.